Grundsätzlich stellt die Abschreibung (AfA) den steuerlichen Wertverzehr eines Gebäudes dar; der Boden wird dabei ausgeschieden und das Gebäude über typisierte Sätze abgeschrieben, was bei vielen Bestandsbauten zu jährlichen Sätzen von 2 % (50 Jahre) oder 2,5 % (40 Jahre) führt – je nach Errichtungszeitraum. § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG eröffnet aber die Möglichkeit, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Restnutzungsdauer anzusetzen, was die jährliche Abschreibung und damit die steuerliche Entlastung deutlich erhöhen kann.
Verkürzte Nutzungsdauer: Wie der BFH Anlegern neue Chancen eröffnet hat
In der Praxis konnten Anleger und Investoren mit sachverständigen Gutachten häufig deutlich kürzere Restnutzungsdauern durchsetzen, was in einzelnen Fällen zu Abschreibungen führte, die denen einer Denkmal-AfA gleichkamen oder diese sogar übertrafen. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung vom 28.07.2021 – IX R 25/19 klargestellt, dass die Finanzbehörden keine überzogenen formellen Hürden ansetzen dürfen und der Steuerpflichtige sich zur Darlegung der verkürzten Nutzungsdauer jeder Darlegungsmethode bedienen kann, die im Einzelfall geeignet ist; damit wurde die Tür für verschiedenartige, fachlich fundierte Gutachten geöffnet.
BMF-Schreiben 2023: Neue Hürden für Restnutzungsdauergutachten
Als Reaktion auf diese Rechtsprechung hat das Bundesfinanzministerium mit Schreiben vom 22.02.2023 BStBl 2023 I S. 332 die Verwaltungslinie verschärft und empfiehlt, verkürzte Nutzungsdauern vorzugsweise durch spezielle Bausubstanzgutachten belegen zu lassen und auf die Qualifikation der Gutachter (hierzu weiter unten) zu achten; dieses BMF-Schreiben bindet die Verwaltung, nicht aber die Gerichte, weshalb es in Verfahren vor Finanzgerichten und dem BFH weiterhin auf die Einzelfallbeurteilung und die Qualität der Beweisführung ankommt.
Streit mit dem Finanzamt: Warum viele Restnutzungsdauergutachten im Einspruch enden
Diese Konstellation hat zu einer Art Patt geführt: Finanzämter neigen dazu, Gutachten, die nicht exakt den verwaltungsinternen Vorgaben folgen, nicht anzuerkennen, was zu Einspruchs- und Klageverfahren führt; die Rechtsprechung hat jedoch wiederholt bestätigt, dass kein starrer Methodenzwang gilt und dass in vielen Fällen Gutachten, die sich hinreichend mit der Bausubstanz und den maßgeblichen Determinanten der Restnutzungsdauer auseinandersetzen, gerichtstauglich sind. In der Folge haben viele Verfahren, die den Rechtsweg beschritten, zugunsten der Steuerpflichtigen geendet, weshalb sich das Gerichtsrisiko für Mandanten, die eine verkürzte Restnutzungsdauer anstreben, oft als vertretbar darstellt. Wer hier bereits etwas vorbauen möchte, um langwierige Streitigkeiten zu vermeiden, sollte bei der Wahl des Gutachtens auf folgende Kriterien achten:
- Vorortbesichtigung
- Zertifizierter Gutachter nach DIN EN ISO IEC 17024 mit in Deutschland anerkannter Akkreditierung oder ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger
- Beurteilung der Nachnutzungsmöglichkeit
Kaufpreisaufteilung bei Immobilien: Neues Argument des Finanzamts
Parallel dazu versucht die Verwaltung, über die Gegenlinie der Kaufpreisaufteilung das Ergebnis zu beeinflussen: Argumentiert wird, dass ein stark abgenutztes Gebäude, das nur noch eine kurze Restnutzungsdauer aufweist, auch einen geringeren Gebäudewert am Gesamtkaufpreis haben müsse und daher ein größerer Anteil dem nicht abschreibbaren Boden zuzuschlagen sei. Diese Argumentation ist jedoch rechtlich nicht zwingend, denn Bewertungszwecke können unterschiedlich sein und Bewertungsmethoden zur Ermittlung des Boden- und Gebäudewerts müssen nicht zwangsläufig die gleiche Schlussfolgerung liefern wie die Bestimmung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer. Gerichtliche Entscheidungen haben deshalb bislang nicht automatisch die reduzierte Gebäudebewertung als zwingende Folge einer verkürzten Nutzungsdauer akzeptiert.
Praxistipp: So setzen Sie ein Restnutzungsdauergutachten erfolgreich durch
Für die Praxis heißt das: Lassen Sie sich nicht von verwaltungsinternen Vorgaben entmutigen, sondern lassen Sie weiterhin sachgerechte, gerichtstaugliche Nachweise anfertigen und beschreiten Sie im Zweifel den Rechtsweg. Entscheidend sind eine präzise Auftragsformulierung an den Gutachter, eine lückenlose Dokumentation des Bauzustands einschließlich Fotodokumentation und Sanierungsunterlagen sowie eine strategische Verfahrensplanung für Einspruch und Klage, damit der Einzelfall sauber darstellbar ist. Wenn das Gutachten die maßgeblichen Determinanten der Restnutzungsdauer schlüssig darlegt, stehen die Chancen sehr gut, dass die Finanzgerichte dieser Argumentation folgen.
Fazit: Verkürzte Restnutzungsdauer bleibt möglich – trotz Widerstand des Finanzamts
Abschließend bleibt auch festzuhalten, dass sich an der gesetzlichen Grundlage nichts geändert hat: § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ermöglicht weiterhin die Berücksichtigung der tatsächlichen Restnutzungsdauer, und die Rechtsprechung hat wichtige Weichen zugunsten der Steuerpflichtigen gestellt. Wer die verkürzte Restnutzungsdauer anstrebt, sollte dies mit guter fachlicher Vorbereitung und der nötigen Prozessbereitschaft tun, denn bislang haben sich in vielen Fällen Aufwand und Prozessrisiko für die Mandanten bezahlt gemacht. Wenn Sie aktuell mit dem Finanzamt über ein Restnutzungsdauergutachten streiten und Unterstützung benötigen, beraten wir Sie gern und übernehmen die strategische und prozessuale Begleitung.